Das osteuropäische München in der Nachkriegszeit und im Kalten Krieg

Das osteuropäische München in der Nachkriegszeit und im Kalten Krieg

Veranstalter
Abteilung für Geschichte Ost- und Südosteuropas, Ludwig-Maximilians-Universität München
Veranstaltungsort
Saal des Münchner Stadtmuseums, Sankt-Jakobs-Platz 1
PLZ
80331
Ort
München
Land
Deutschland
Findet statt
In Präsenz
Vom - Bis
05.10.2022 - 07.10.2022
Von
Dr. Felix Jeschke, Historisches Seminar, Ludwig-Maximilians-Universität München

Wissenschaftliche Tagung des Lehrstuhls für Geschichte Ost- und Südosteuropas der LMU München in Kooperation mit dem Münchner Stadtmuseum und dem Jüdischen Museum München

Das osteuropäische München in der Nachkriegszeit und im Kalten Krieg

München war nach dem Zweiten Weltkrieg ein Zentrum der ost- und südosteuropäischen Migration. Als wichtiger Sitz der amerikanischen Besatzungsbehörden und durch seine geografische Lage wurde die Stadt zur Anlaufstelle für Menschen aus dem östlichen Europa. Sie kamen in eine zu großen Teilen kriegszerstörte Stadt, viele Münchner:innen standen ihnen angesichts des verbreiteten materiellen Elends feindselig gegenüber. Als sogenannte Displaced Persons (DPs) wurden ehemalige Zwangsarbeiter:innen, befreite KZ-Häftlinge und Kriegsgefangene sowie Überlebende der Schoa oft unfreiwillig in DP-Lagern und Privaträumen in der Stadt und der Umgebung untergebracht. Ferner waren Tausende Menschen aus Mittel- und Osteuropa vor der vorrückenden Roten Armee nach Westen geflohen, aus Furcht vor sowjetischer Besatzung, aus antikommunistischer Überzeugung oder aus Angst vor Verfolgung wegen vermeintlicher oder tatsächlicher Kollaboration mit der deutschen Besatzungsmacht. Dazu kamen Deutsche, die aus der Tschechoslowakei und den ehemaligen deutschen Ostgebieten vertrieben oder geflüchtet waren.

Die Mehrzahl der DPs wurden innerhalb weniger Monate nach Kriegsende repatriiert oder zog weiter nach Nordamerika oder Israel. München aber blieb in der Zeit des Kalten Kriegs ein Zentrum für die ost- und südosteuropäische Migration und das antikommunistische Exil. Es bildeten sich Netzwerke und Institutionen wie die Ukrainische Freie Universität, die Tolstoy Foundation, der Antibolschewistische Block der Nationen und Radio Free Europe/Radio Liberty, die nicht zuletzt vielen Osteuropäer:innen die Möglichkeit gaben, sich einen Lebensunterhalt zu verdienen. Viele Einrichtungen positionierten sich gegen die staatssozialistischen Regime im östlichen Europa. Sie wurden teilweise durch die CIA geschaffen und finanziert und in unterschiedlichem Umfang von den bundesdeutschen und bayerischen Behörden unterstützt. Das zog die Aufmerksamkeit der osteuropäischen Geheimdienste auf sich, die bis in die 1980er-Jahre zahlreiche Anschläge auf Exilanten in München verübten.

Abgesehen von Studien zu deutschen Flüchtlingen und „Heimatvertriebenen“ sowie teilweise zu jüdischen DPs hat sich die historische Forschung mit der umfangreichen Kriegs- und Nachkriegsmigration nach München lange nur am Rande beschäftigt. Erst in den letzten Jahren ist ein Anstieg des wissenschaftlichen Interesses an DPs und an der Rolle Münchens im Kalten Krieg zu verzeichnen. Die Tagung will dieser neuen Forschung ein Forum bieten und damit sowohl einen Beitrag zur Migrationsgeschichte Osteuropas als auch zur Münchner Stadtgeschichte leisten. Aufgeteilt ist die Tagung in zwei Panel-Blöcke: am ersten Tag wird neue DP-Forschung präsentiert, am zweiten Tag steht München als Schauplatz des Kalten Krieges und als Standort der Osteuropaforschung im Fokus. Außerdem wird der digitale Audiorundgang „Kalter Krieg: Tatort München“ vorgestellt, ein Studierendenprojekt des Elitestudiengangs Osteuropastudien (LMU München/Universität Regensburg) zu den Mordanschlägen ost- und südosteuropäischer Geheimdienste.

Programm

Mittwoch, 05. Oktober 2022

Führung durch die Ausstellung zu Radio Free Europe im Münchner Stadtmuseum (Hannah Maischein)

Keynote Lecture von Kateryna Kobchenko: Die DP-Zeit als Kapitel der transnationalen Geschichte Europas am Fallbeispiel ukrainischer Displaced Persons

Donnerstag, 06. Oktober 2022

Einführung (Anke Stephan)

Bestandsaufnahme aus musealer Perspektive (Hannah Maischein und Jutta Fleckenstein)

Panel 1: Quellen zur DP-Geschichte in München

- Axel Doßmann (Berlin/Jena): Vielstimmige Differenz. Münchner Displaced Persons in Interviews mit David P. Boder im Sommer 1946
- Vitalij Fastovskij (Münster): Humanitäre Hilfe im Kalten Krieg: Die Unterstützung von Displaced Persons und Flüchtlingen durch die Tolstoy Foundation (1949–1989)
- Gudrun Wirtz (München): Displaced-Persons-Publikationen aus München und Umgebung (1945–1951)
- Andreas Heusler (München): Displaced Persons in der Münchner Nachkriegsgesellschaft. Forschungsstand, Quellen, Perspektiven – ein Überblick

Panel 2: Nichtjüdische DPs in der Münchner Stadtgesellschaft

- André Scharf (Dachau): „Bleib du hier. Arbeiten kannst du“ – Lebenswege ehemaliger Häftlinge des KL Dachau in München
- Marcus Velke-Schmidt (Köln/Bonn): Baltische Displaced Persons und „heimatlose Ausländer“ in Bayern und München – eine Bestandsaufnahme
- Maria Kovalchuk (München): Laboratory of a Civil Society: Diversity, Debates, and Culture in Ukrainian DP community in the American Zone

Panel 3: Orte der Migration in der Münchner Nachkriegszeit

- Elena Kuhlen (München): Das Lager Schleißheim 1946–1953 – die rettende Insel für russische antikommunistische Displaced Persons
- Christian Höschler (Bad Arolsen): „Now that the ‘cold war’ has become hot...“: Der Umgang mit unbegleiteten DP-Kindern zwischen München und Bad Aibling, 1950–1951
- Piritta Kleiner (Friedland): Vergessene Orte der Münchner Nachkriegsgeschichte: des ehemalige KZ-Außenlager Allach

Freitag, 07. Oktober 2022

Panel 4: Jüdische DPs in der Münchner Stadtgesellschaft

- Anna Holian (Arizona): Setting Up Shop in Postwar Munich: Polish Jewish Livelihoods between Continuity and Rupture
- Jutta Fleckenstein (München): Displaced Artists - Maximilian Feuerring und die Kunst-Ausstellungen in der U.S. amerikanischen Zone
- Katarzyna Person (Warschau): The practices of honor courts and the communal life of Jewish DPs in the Munich area

Präsentation des Projektkurses des Elitestudiengangs Osteuropastudien: Kalter Krieg: Tatort München

Panel 5: München als Schauplatz des Kalten Kriegs

- Paula Oppermann (München): Imagined Community im Kalten Krieg? Das Zentralkomitee der Letten in Bayern und die lettischen Flüchtlinge in München
- Karolina Novinšćak Kölker (München): Auf jugoslawischen Sonderwegen: Von DPs zu Exilant:innen und Gastarbeiter:innen in München
- Anna Bischof (München): Kalter Krieg im Äther. Radio Free Europe und Radio Liberty in München

Panel 6: München als Standort der Osteuropaforschung

- Tobias Weger (München): München und die deutsche Kultur und Geschichte Südosteuropas nach 1945
- Peter Hilkes (München): Die Ukrainische Freie Universität in München und ihr Stellenwert in der Osteuropa- und Ukraineforschung. Entwicklung und Einblicke aus aktueller Sicht
- K. Erik Franzen (München) - Titel folgt

Kontakt

Dr. Felix Jeschke
Historisches Seminar der LMU München
Tel.: 089/2180-5479
E-Mail: felix.jeschke@lrz.uni-muenchen.de

https://www.osteuropastudien.uni-muenchen.de/aktivitaeten/osteuropaeisches-muenchen/index.html